Bewusstsein - Unterbewusstsein, was ist das?
Was ist eigentlich das Bewusstsein – Unterbewusstsein? Diese harmlos anmutende Frage ist in Wirklichkeit ein Monster und man kann mit einigem Recht sagen, dass Renè Descartes es mit seinem berühmten „Ich denke, also bin ich“ von der Kette gelassen hat, sodass es zum Beispiel für Leibniz und Kant zu einem wichtigen Thema wurde.
Gut beantworten konnten sie die Monsterfrage aber eigentlich nicht. Lange Zeit wurden das Bewusste und das Psychische als im Prinzip dasselbe gewertet. Das einzige wirklich fassbare Ergebnis war, dass man sich einer Sache nur dann bewusst sein kann, wenn man sich seiner selbst bewusst ist. Diese beiden Elemente gehören immer zusammen. Auf Schlau heißen sie heutzutage: Intentionalität und Selbstreflexivität.
Dann kam Freud
Sigmund Freud erkannte, dass seine Hypnose-Patienten bestimmte Erfahrungen aus ihrer Vergangenheit verdrängten. Dass da etwas existierte, was nicht in ihrem Bewusstsein war, aber manchmal zurückgeholt werden konnte, und dass dieses Unbewusste psychische Auswirkungen hatte, oft sogar deutlich stärkere als das Bewusste. Dies war die Geburtsstunde der Psychoanalyse und einer ganz neuen Betrachtungsweise.
Freud zog ein Ich aus dem Hut, ein Über-Ich und ein Es, er stellte Theorien auf, verwarf sie wieder, forschte weiter und grübelte zeitlebens über das Verhältnis zwischen dem Ich und dem Bewusstsein nach. Das Unbewusste teilte er dabei ein in ein Verdrängungs-Unbewusstes (dynamisch), ein Momentan-Unbewusstes (deskriptiv, vorbewusst) und ein Voll-Unbewusstes (z.B. vegetativ).
Viele andere Wissenschaftler – und nicht nur Psychologen – arbeiteten nach Freud mit seinen Begriffen, Theorien und Modellen weiter und die Kognitions- und Kommunikationswissenschaften entwickelten sich. Sehr anschaulich ist das Eisbergmodell von Freud. Er meinte damals, dass das Unbewusste circa 80% repräsentiert, also der Teil unter der Wasseroberfläche, und nur der kleine sichtbare Rest das Bewusstsein. Das bringt Freuds glühende These auf den Punkt, nach der wir keineswegs selbstkontrollierte Vernunftwesen sind, sondern weitgehend von Dingen gesteuert werden, derer wir uns nicht bewusst sind. Das war damals neu und löste großes Unbehagen aus. Als wären Kopernikus und Darwin nicht schon kränkend genug gewesen!
Wo bleibt das Unterbewusste?
„Unterbewusst“ ist kein generell verwendeter Fachausdruck. Freud deckte den Begriff inhaltlich mit seinem dynamischen Unbewussten und dem Vorbewussten ab. Es ist allerdings sinnvoll, ein eigenes Wort für das zu haben, was man (zumindest theoretisch) ins Bewusstsein zurückholen kann, im Gegensatz zu automatischen Prozessen wie der Verdauung oder Hirnströmen. Daher ist eine Dreiteilung in bewusst, unterbewusst und unbewusst hilfreich. Normalerweise werden wir mit so vielen Eindrücken und Wahrnehmungen konfrontiert, dass wir unsere Aufmerksamkeit nur auf eine winzige Auswahl richten können. Die restlichen Informationen wandern ins Unterbewusste ab, von wo aus sie wirken, ohne dass wir es merken.
Am Unbewussten ist kaum jemand interessiert, am Unterbewussten hingegen viele, zum Beispiel Leute, die etwas verkaufen wollen, und Leute, die politische Macht anstreben. Die möchten wissen, was in der Kundin, was in der Wählerin vorgeht, was sie motiviert und zu Entscheidungen führt, am liebsten besser als diese selbst es wissen. Das Pikante ist nämlich: Über das Unterbewusste kann man uns bis zu einem hohen Grad steuern. Pikant, aber chancenreich; immerhin können wir uns diese Mechanismen auch selbst zunutze machen, im Mentaltraining. Warum sollten wir nicht von den Ergebnissen der Konsum- und Wahlforscher profitieren?
Hirnforschung - Neues Bewusstsein über das Bewusstsein
Mit modernen Technologien und der Entwicklung neuer Theorien sind wir dabei, eine Welt sichtbar zu machen, die Freud unbekannt war. So sind etwa neben der erwähnten Konsum- und Wahlforschung auf den Feldern der Bindungsforschung, der Gedächtnispsychologie und der Neurowissenschaften enorme Fortschritte erzielt worden.
Der Nobelpreisträger und Neurowissenschaftler Gerald M. Edelman sagte 2010 in der Zeitschrift des Neurosciences Institute in San Diego: „Wir sind jetzt an einem Wendepunkt (…). Fortschritte in der Neurowissenschaft machen es jetzt möglich, ein großes biologisches Rätsel anzugehen: das des menschlichen Bewusstseins. Der Erfolg auf diesem Feld wird unser Leben verwandeln, indem er unser Verstehen von einer philosophischen Debatte zu einer wissenschaftlichen Beschreibung verschiebt.“
Als Standard-Kriterium für menschliches Bewusstsein gilt nämlich im Wesentlichen nach wie vor die Fähigkeit, korrekt über Vorgänge zu berichten. Wenn ich erzähle, wie ich meine Lieblingsbrötchen gekauft habe und wie lecker sie waren, dann beweist das mein Bewusstsein. Und wenn ich meine Handy-Nummer vergessen habe, beweist das, dass sie mir einmal bewusst war. Dieses Berichten kann auch nonverbal sein, zum Beispiel mit Zeichen, aber das Report-Kriterium ist trotzdem dünn und unbefriedigend. Kleinkinder können ja auch nicht sprechen, haben sie also kein Bewusstsein? Gibt es nicht noch mehr Kriterien? Wenn Tiere im Spiegel einen Fleck in ihrem Gesicht erkennen und ihn wegwischen („Spiegel-“ oder „Rouge-Test“), ist das dann nicht ein klares Indiz für Bewusstsein?
Tatsächlich hat eine Gruppe von Neurowissenschaftlern eine Liste mit 16 weiteren Kriterien und Testmöglichkeiten vorgestellt, um das Feld zu erkunden. Zu diesen Kriterien gehören die EEG-Signatur (Elektroenzephalogramm), das Verhalten von Großhirnrinde und Thalamus, die Hirnaktivität, aber auch Aspekte wie Subjektivität („privater Strom von Ereignissen“), Lernprozesse und Entscheidungsfindung. Auf diese und mehr Eigenschaften hin könnten, mal präziser, mal weniger präzise, auch andere Spezies als der Mensch auf ihr Bewusstsein hin untersucht werden.
Bewusstsein - Unterbewusstsein: Es geht gerade erst los
Je mehr wir über das Bewusstsein wissen, desto mehr wissen wir über das Unterbewusstsein, und umgekehrt. Wir benötigen ein Verständnis von beiden Seiten der Medaille, um unsere Kräfte zu erkennen, sie effektiv zu trainieren und sie dann optimal zu nutzen.
Ob sich das Bewusstsein und das Unterbewusstsein vollständig „entschlüsseln“ lassen, bleibt fraglich, und die Wissenschaft ist mit Prognosen vorsichtiger geworden, nachdem sie sich bereits beim Sequenzieren des menschlichen Genoms weit größeren Herausforderungen ausgesetzt fand als ursprünglich angenommen.
Es ist aber nicht nur die Technik, die voranschreitet. Die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts haben auch zu philosophischen Konsequenzen geführt: Der ewige Streit der Gelehrten über die Frage, ob es etwas Geistiges gibt, das sich vom Körperlichen abgrenzen lässt, verschiebt sich immer mehr in Richtung der Antwort, dass alles Materie ist. Dabei ist allerdings das Konzept „Materie“ im Begriff, sich aufzulösen und zu verändern, angestoßen durch Ergebnisse zum Beispiel in der Teilchenphysik und der Hirnforschung.
Jeden Tag erfahren die Forscher mehr über die Rätsel des Bewusstseins und des Unterbewusstseins aus Hunderten von Fachzeitschriften. Experimente werden durchgeführt und Modelle aufgestellt, und überall liest man: Wir stehen gerade erst am Anfang. – Das ist ein gutes Zeichen. Wenn man nämlich am Anfang von etwas steht, kann man noch viel erwarten.
Literaturquellen
- MERTENS, W. [2014]: Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe. Kohlhammer Verlag
- NITZSCHKE, B. [2011]: Die Psychoanalyse Sigmund Freuds: Konzepte und Begriffe. Reihe: Schlüsseltexte der Psychologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien
- RUCH, F.L.; ZIMBARDO, P.G. [1974]: Lehrbuch der Psychologie. Eine Einführung für Studenten der Psychologie, Medizin und Pädagogik. Springer.
- ZURAWICKI, L. [2010]: Neuromarketing: Exploring the Brain of the Consumer. Springer.
- EDELMAN, G.M. [2010]: The Biology of Consciousness. In: Brain Matters (Fall/Winter).
- SETH, A.K.; BAARS, B.J.; EDELMAN, D.B. [2005]: Criteria for consciousness in humans and ohter mammals. In: Consciousness and Cognition.